Obdachlos, Gedankenreich

Von Carlotta Rappert

Samstagnachmittag. Menschenmassen schieben sich durch die Kölner Innenstadt, sie sind bunt und laut. Robert, 20 Jahre alt, ganz in schwarz gekleidet, sitzt schweigend am Straßenrand und blinzelt in die Sonne. Er ist umgeben von Koffern, Taschen und Tüten. Dahinter beginnt seine eigene Festung. Bücher von Nietzsche stapeln sich neben Pfandflaschen und Kleingeld. Eine Frau wirft ihm Geld in den Korb, er blickt kurz auf und schiebt dann die Kopfhörer noch weiter in die Ohren hinein.

Es ist Zeit für einen Tee. Schnell packt er seinen Besitz zusammen und geht in das nächste Cafe. Er schaut sich viel um, bemerkt die Blicke der Anderen. Ein Mann rümpft die Nase. Daraufhin geht Robert einmal durch den ganzen Raum, den Koffer schleift er hinter sich her, es hallt noch lange nach. Der Obdachlose entscheidet sich für den zentralsten aller Tische, mit Blick auf den Dom und den Blicken der Anderen im Nacken. Während er sein Kleingeld zusammensucht, laufen auf der Domplatte junge Menschen in seinem Alter, vollbehangen mit Shoppingtüten. Mit finnischem Akzent sagt er „Die Idee ist Folgende: Du machst dich zum Sklaven, um Geld zu verdienen. Dieses Geld trägst du dann in die nächste Einkaufsstraße, um dir Dinge zu kaufen, die du eigentlich gar nicht brauchst. Das alles, um dich gut zu fühlen. Es ist wie bei den Schweinen, die essen, weil es sich so gut anfühlt. Weil es ihr Bedürfnis befriedigt, sie sich gesättigt fühlen.“ Robert lacht in sich hinein.

Eins betont er besonders: „Hier in Deutschland ist die Toleranz gegenüber Verletzlichkeit größer. Das finde ich aber nicht unbedingt gut, ich brauche einen Antrieb, um etwas zu schaffen.“

Herkunft ist ein wichtiges Thema für ihn. Robert kommt aus Finnland, ist im Waisenhaus aufgewachsen, sein Vater ist abgehauen und seine Mutter hat ihn verstoßen. Wie er nach Deutschland gekommen ist, darüber möchte er nicht reden. „Mein Umfeld war nie ein Fan von mir. Ich war schon immer auf mich allein gestellt und bin ein sehr leidenschaftlicher Mensch. Das rettet mich, glaube ich.“ Er nimmt seinen Teelöffel und zeigt auf die Familie am Nebentisch, sein Blick bleibt länger an ihr haften. ,,Denn ich wurde nie akzeptiert als der, der ich wirklich bin. Und irgendwann habe ich verstanden, dass ich als Waise auch niemals akzeptiert sein werde. Andere in meinem Umfeld sind Drogendealer geworden, haben sich Gangs angeschlossen, sich prostituiert.“ Pause, Räuspern.

Nach ein paar Minuten hat er seine Stimme wiedergefunden, spricht nun lauter. „Da ist eine Flamme in mir, die mehr erreichen will als das“, mit seiner Hand weist er bestimmt auf die Straße, „ich möchte mehr erreichen, in einer gewissen Weise möchte ich die Welt besitzen.“ Auf Englisch schiebt er hinterher: „I want to be somebody“.

Rob, wie er sich selbst nennt, holt sein grünes Notizheft raus. Er blättert, nach vorne, nach hinten, macht das Heft zwischenzeitlich wieder ganz zu. Letztendlich schiebt er das Heft offen in die Mitte des Tisches, offen für jeden, der seinen Gedanken näherkommen möchte.

Rob packt seine Koffer wieder zusammen, geht. Wo ist sein Platz in der Gesellschaft? „Mein Platz ist in dem Menschen, der Platz für mich hat.“ Mit langsamen Schritten bewegt er sich auf die Tür des Cafes zu, tritt letztendlich nach draußen. „If I find people to whom I can belong to, they will be my home.“