„Wir sind keine Bots“

Von Sophie Gruber

Maurice läuft über die Deutzer Brücke in Köln. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel auf seinen Rücken und Hinterkopf. In der Luft liegt der Geruch von verschiedenen Parfüms und Schweiß. Immer wieder wird der Satz „Wir sind hier, wird sind laut, weil man uns die Freiheit klaut“ von der Menge um Maurice herum gerufen. 

Um 12 Uhr, zwei Stunden vorher, ist es auf dem Neumarkt in der Kölner Innenstadt für einen Platz mitten in einer Millionenstadt verhältnismäßig ruhig. Die Autofahrer auf der Straße reihen sich hintereinander vor den Ampeln ein. An der Straßenbahnhaltestelle hält eine Bahn, die zum RheinEnergie Stadion fährt. Der 1. FC Köln tritt gegen den SV Sandhausen an. Als sie wieder losfährt, ist der kleine Platz, eingekreist von dicken Bäumen, zwei großen Straßenbahnstationen und der L111, fast leer. Nur ein Grüppchen von ca. 50 Menschen steht um einen kleinen Lastwagen mitten auf dem Platz herum. 

Die Abdeckung des Anhängers ist auf einer der Längsseiten hochgezogen. Auf der Ladefläche wird eine kleine Bühne mit Lautsprechern und Mikrophon zusammengebaut. Hastig laufen Menschen mit Kabeln im und um den Lastwagen herum, rufen einander Anweisungen zu. Andere hängen Plakate mit der Aufschrift „Safe the Internet“ an die andere Seite des Lastwagens. 

Die Menschen, die herumstehen, halten Plakate in den Händen. Sie reden miteinander, einige essen noch schnell ein kleines Mittagsessen. Einer macht über den kleinen Lautsprecher in seiner Hand Elektromusik an. In der Luft hängt der Geruch von Abgasen, Döner und der Bretzel einer Passantin. Der ruhige Samstagmittag-Verkehr wälzt sich durch die Straßen, der Motor für das Mikro brummt leise vor sich hin und irgendwo singen Kölnfans ein Lobeslied auf den 1. FC. Eine Stunde später sieht es auf dem Platz schon ganz anders aus.

Auf dem kleinen Platz wird es langsam eng. Die Leute, die kommen, demonstrieren heute gegen die neuen Urheberrechtsgesetze der Europäischen Union. Es sind über tausend Menschen gekommen. Leider nicht so viele, wie von den Veranstaltern erhofft, aber immer noch mehr, als in der Woche davor, meint eine junge Frau zu dem Mann neben ihr. Sie hat bunte Haare und hält ein Schild mit Memes von Spongebob darauf hoch. „Das Thema bewegt immer Mehr“. Der Mann neben ihr ist Maurice. 

Maurice ist 26 Jahre alt und studiert Praktische Philosophie und Geschichte auf Lehramt im vierten Semester in Köln. Er trägt einen schwarzen Mantel, eine schwarze Hose und schwarze Schuhe. Seine langen schwarzen Haare sind in einem tiefen Pferdeschwanz zusammengebunden. Dazu trägt er auf dem Kopf eine schwarze Melone. Die Hände stecken in schwarzen Lederhandschuhen und sind vor dem Bauch verschränkt. Maurice demonstriert nicht zum ersten Mal gegen die neuen Gesetze der EU. In seiner Freizeit organisiert er selbst auch Demos gegen das neue Urheberrechtsgesetz und engagiert sich gegen die Durchführung. Auch wenn es ihn nicht direkt betrifft, findet er den „Generalverdacht gegen alle Internetnutzer“ nicht in Ordnung. Er steht mitten in der Gruppe und schaut dem Geschehen um sich herum zu. 

Um 13 Uhr ertönt die erste Ansprache von Tiemo Wölken und Organisator Sebastian Worm. Wölken ist deutscher Politiker (SPD) und sitzt auch im Europaparlament. Er setzt sich schon länger stark gegen die neuen Urheberrechtsgesetze ein, besonders gegen Artikel 13. Dann werden Parolen wie „Wir sind keine Bots“ oder „Wir wollen keinen Artikel 13“ angestimmt. Die Menge ist zwar noch immer friedlich, aber der Ärger und die Frustration der Menschen ist in der Luft fast greifbar. 

Um 13:34 Uhr laufen sie dann los. Die Gruppe läuft zum Bahnhof Köln Messe/Deutz – mit Polizeieskorte versteht sich. Vorneweg der Lastwagen mit den Lautsprechern, aus denen noch immer Parolen vorgerufen werden – hinterher eine lange Schlange aus Menschen. Junge, Alte, mit bunten Haaren, mit Glatzen, mit und ohne Schilder. Viele filmen oder machen Fotos, nicht aber Maurice. Er läuft einfach mit, die Hände noch immer vor dem Bauch verschränkt. Er trägt kein Plakat. Er mag auch keine Parolen. Er sagt, kein Thema ist so einfach, dass man es in einem kurzen Satz zusammenfassen könnte. Auch werden sie ihm zu schnell zu langweilig. Also läuft er einfach stumm mit. Am Abend nach der Demo geht er vielleicht noch einen Trinken mit seinen Freunden, die auch hier sind. 

Die neuen Urhebergesetze der EU sprechen viele Themen an: Es geht um bessere Vertragsbedingungen für Künstler, rechtliche Grundlagen für die Entwicklung künstlicher Intelligenz und grenzüberschreitende Bildungsangebote. Der große Streitpunkt ist Artikel 13. Dieser könnte einen Upload-Filter bedeuten. Kritiker befürchten, dass so eine Zensur am Internet, wie wir es kennen, stattfinden würde. Für manche kommt es einer Beschränkung der Meinungsfreiheit gleich. 

Maurice hat eine sehr klare Meinung zu den neuen EU-Urheberrechtsgesetzen. Er sieht die Einführung der Gesetzte als Einengung des freien Menschen an. In seinen Augen ist die optimale Lösung anders. „Jeder soll den Mut haben, seinen eigenen Verstand zu verwenden“, sagt Maurice mit einem Augenzwinkern. „Plattformen wie YouTube haben doch schon ein sehr gutes System“, die Baustelle sei ganz woanders. Für ihn wäre die Aufklärung in Schulen und der Eltern viel wichtiger. Trotzdem darf auch das Internet kein rechtsfreier Raum sein. Auch Künstler oder Autoren dürfen nicht in der Angst leben, dass ihre Inhalte ohne ihr Wissen verwendet werden. Aber einfach einen Filter über alles zu legen, ist in seinen Augen keine Lösung. „Kein einfacher Algorithmus kann die Feinheiten gut genug erkennen“, da ist er sehr deutlich.