Von Laura Zecha
Mit ruhigen Händen steht sie in der Mitte ihres Ladens. Ihre Augen sind groß, ihre Mundwinkel verraten, dass Sie angespannt ist, denn Sie muss sich konzentrieren. Eine türkische Kundin sitzt vor ihr in einem mit altem Leder überzogenen Friseurstuhl und hält ihre zukünftigen Haare noch in den Händen.
Vorsichtig flechtet Kathy, die Ladenbesitzerin, die künstlichen Haare ihrer jungen Kundin. !Das hier ist das Einzige, was ich kann“, flüstert die Afrikanerin, die im Kongo geboren ist. Sie beißt sich auf ihre rot geschminkte Unterlippe. !Bevor ich meine Mutter das letzte Mal gesehen habe, konnte sie mir das noch beibringen.“ Ihre Stimme ist zurückhaltend. Bei dem Gedanken an ihre Mutter hält sie kurz inne, sie unterbricht ihre Arbeit und geht hinter die Theke, um eine Kundin zu kassieren. Kling. Sie schiebt die Kasse schwungvoll zu. „So geht das hier den ganzen Tag. Ich bin Friseurin, Kassiererin und Bedienung zugleich.“ Doch der Laden laufe mittlerweile gut, erzählt Kathy. Mit ihren kastanienbraunen Augen, die besonders aufgrund ihrer langen, künstlichen Wimpern und elegant tätowierten Augenbrauen auffallen, blickt sie durch ihren Laden. Er ist klein, viel Platz hat sie hier nicht. Von draußen kommt nur wenig Licht hinein, das Schaufenster ist mit etlichen Perücken geschmückt. Eine anders als die andere. Der Lärm der vorbeirasenden Autos auf der Hauptstraße vor der Tür wird von leiser afrikanischer Musik überspielt. Die schneeweißen Fliesen bilden einen Kontrast zu den bunten Wänden, die Kathy wahlweise orange angestrichen hat.
Sie begrüßt eine neue Kundin und bittet sie zu einem der beiden Stühle, die vor einem bodentiefen Spiegel einfach im Raum stehen. „Hier in Mülheim habe ich meistens nur Ende des Monats Kundschaft- dann, wenn die Gehälter ausgezahlt sind.“ Sie erzählt mit einem französischen Akzent in ihrer Stimme. Tagein tagaus steht sie hier alleine ab 10.00 Uhr morgens. Personal, das sie in ihrem Arbeitsalltag unterstützt, hat sie nicht. Um 20.00 Uhr kann sie dann die rote Ladentür hinter sich zuziehen. Obwohl sie bereits seit über 20 Jahren an der in Mülheim zentral gelegenen Frankfurter Straße Frauen eine neue Frisur verpasst, ist von außen noch das Türschild eines Goldschmieds zu erkennen.
„Ich komme nicht aus Mülheim, ich bin in Frankreich aufgewachsen.“ Mit Vorsicht in der Stimme schwelgt sie in der Vergangenheit. „Gemeinsam mit meinem Vater bin ich aus dem Kongo in einen Nachbarort von Paris ausgewandert, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.“ Glücklich klingt Kathy dabei nicht. Unsicher formt sie ihren pechschwarzen Afro wieder zu einem halbhohen Pferdeschwanz. Dabei kommen ihre fingerlangen Ohrringe zum Vorschein. Zwei kleine afrikanische Krüge baumeln langsam an ihren Ohren und verweisen auf ihre Wurzeln. „Mit 11 Jahren ist dann auch noch mein Vater gestorben. Damit habe ich alles verloren. Ich war allein.“ Kathys Stimme ist gebrochen, sie schluckt ein paar Mal. Sie schaut auf ihre Kundin und beginnt hektisch mit ihrer Arbeit fortzusetzen. Ihr verlegenes Lächeln verdeutlicht, dass es ihr unangenehm ist, diese Momente ihrer Erinnerung zu besuchen.
Doch die Verlegenheit wird rasch durch ein hoffnungsvolles Grinsen ersetzt. „Dann habe ich meinen Mann kennengelernt. Einen echten afrikanischen Kölner.“ Plötzlich scheint ihre Schüchternheit verschwunden zu sein. „Ich bin einfach mit ihm mit nach Deutschland gekommen“, lacht Kathy so laut, dass sich dabei ihr Gesicht aufhellt. „In Köln habe ich endlich wieder eine Heimat für mich gefunden. Besonders Mülheim. Hier gibt es alles. Jede Kultur.“ Mit einem Funkeln in den Augen versucht die Afrikanerin das auszudrücken, was ihr an Köln besonders am Herzen liegt. Einen deutschen oder gar französischen Ausdruck scheint sie nicht dafür zu finden. „Tolerance“ ist es, was sie nach kurzem Überlegen mit sicherer Stimme aus voller Überzeugung sagt. „Dass alle hier so cool sind. Hier kann ich sein, wer ich will. Das Wichtigste für mich aber ist, dass ich mir ein Stück meines Heimatlandes einfach so nach Mülheim holen kann. Mit Hilfe meines Ladens kann ich so leben, wie meine Mutter, obwohl ich nicht mehr im Kongo bin.“
Im Herzen Mülheims hat sich Kathy ihre neue Heimat geschaffen. Umzingelt von Läden anderer Kulturen und Menschen anderer Länder hat sie genau ihren Platz gefunden. Sie bezeichnet sich selbst als Kölnerin. Obwohl sie in ihrem Leben viel einstecken musste, sei sie froh und vor allem stolz, dass sie ihre Tochter vor 21 Jahren in Köln auf die Welt bringen konnte.